Arbeitsschutz, Umwelt & Nachhaltigkeit

Das Wichtigste zuerst! Wesentlichkeitsanalyse

Ein praktischer Leitfaden für die Priorisierung von Nachhaltigkeitszielen

3 Minuten14.04.2023

von Helena Ranängen

Für viele Unternehmen sind Interpretation und Priorisierung von Nachhaltigkeitszielen eine große Herausforderung. Besonders kompliziert wird es, wenn auch die Ansprüche lokaler Stakeholder betrachtet werden müssen. Eine mögliche Antwort auf diese Herausforderung ist die sogenannte Wesentlichkeitsanalyse. Bei einer Wesentlichkeitsanalyse wird jeder Aspekt, z. B. Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (SGA), im Hinblick auf die "Relevanz für Stakeholder" und die "Relevanz für das Unternehmen" bewertet. 

Meine Kollegen und ich untersuchen, wie Unternehmen sich mit ihrer nachhaltigen Entwicklung befassen und welche Nachhaltigkeitsaspekte sie dabei priorisieren. Es gibt bisher keinen standardisierten Rahmen für die Durchführung einer Wesentlichkeitsanalyse, dafür aber verschiedenste Methoden zur Bewertung von Nachhaltigkeitsaspekten. 

Um Ihnen eine gute Grundlage für die Entwicklung bzw. Optimierung Ihrer eigenen Methode zu bieten, werde ich die relevanten Schritte unserer Arbeit am Beispiel eines Unternehmens aus der nordischen Bergbauindustrie erläutern, wobei ich mich speziell auf die Bewertung von SGA konzentriere.

Was ist ein wesentlicher Nachhaltigkeitsaspekt?

Wesentliche Nachhaltigkeitsaspekte sind wirtschaftliche, ökologische oder soziale Aspekte, auf die ein Unternehmen Einfluss hat oder von denen es beeinflusst werden kann. Es kann sich auch um einen Aspekt handeln, der die Bewertungen und Entscheidungen der Stakeholder erheblich beeinflusst. 

Schritt #1: Auflistung der Nachhaltigkeitsaspekte

Grundlage für unsere Wesentlichkeitsanalyse ist eine Liste aller Nachhaltigkeitsaspekte, die für das jeweilige Unternehmen relevant sind. Um sämtliche Aspekte zu listen, untersuchen wir dessen bestehende Nachhaltigkeitsinitiativen sowie verwendete Richtlinien und Methoden der Nachhaltigkeitskommunikation. Einige der Nachhaltigkeitsinitiativen, -richtlinien und -methoden beziehen sich auf ein einziges Thema, z.B. ISO 14001 für Umweltmanagement oder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Andere umfassen mehrere Themenfelder, z.B. die GRI-Standards, der UN Global Compact oder ISO 26000. Nachhaltigkeitsaspekte, die möglicherweise ebenfalls relevant sind, identifizieren wir durch eine Literaturrecherche zu relevanten Forschungen über Nachhaltigkeitskriterien und -indikatoren für die jeweilige Branche. Wir ordnen die ermittelten Aspekte anschließend übergeordneten Kernthemen zu. SGA verorten wir beispielsweise unter dem Kernthema „Arbeitspraktiken“.

Schritt #2: Management-Workshops

Die Liste der Nachhaltigkeitsaspekte wird als Basis für Management-Workshops verwendet. Die Manager des Unternehmens werden angeleitet, die Bedeutung der Aspekte für den Geschäftserfolg auf einer Skala von 1 bis 5 zu bewerten, wobei 1 für „nicht wichtig“ und 5 für „sehr wichtig“ steht. Für das Kernthema „Arbeitspraktiken“ zeigt das nachstehende Diagramm, dass „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ sowie „Vergütung“ und „Gleichberechtigung“ von den Managern des nordischen Bergbauunternehmens als sehr wichtig (5) eingestuft wurden. 

Schritt #3: Befragung der Stakeholder

Die Manager des Unternehmens identifizieren im Rahmen der Workshops auch ihre externen und internen Stakeholder und priorisieren deren Ansprüche in Anbetracht von Einfluss, Berechtigung und Dringlichkeit. Anschließend erfassen meine Kollegen und ich anhand strukturierter Interviews und Umfragen mit den Stakeholdern, die für sie relevanten Nachhaltigkeitsaspekte. Im Beispielfall des nordischen Bergbauunternehmens konnten die Stakeholder wählen, ob sie lieber telefonisch für ein Interview kontaktiert werden oder die Umfrage per E-Mail beantworten wollten. 

Wir empfehlen Unternehmen, ausführliche Interviews mit ihren Stakeholdern zu führen, um Genauigkeit zu gewährleisten und mehr Informationen zum geschäftlichen Hintergrund zu sammeln. Beides ist für den Evaluierungsprozess und die strategische Ausrichtung der CSR (Corporate Social Responsibility) Strategie hoch relevant.

Schritt #4: Wesentlichkeits-Matrix

Die Kombination beider Bewertungen zeigt, welche Aspekte sowohl für die Stakeholder als auch für den Unternehmenserfolg als wesentlich gelten. Faktoren wie in unserem Beispiel Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, die in der rechten oberen Ecke der Matrix verzeichnet wurden, sind auf beiden Achsen von wesentlicher Bedeutung und sollten in der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens priorisiert werden. Die endgültige Matrix für das nordische Bergbauunternehmen umfasst 60 Aspekte aus 7 Kernthemen. Übersichtshalber und zur Beantwortung der Frage „Sollte unsere Strategie im Nachhaltigkeitsmanagement Safety First sein?“ zeigt das folgende Beispiel jedoch nur die Ergebnisse des Kernthemas „Arbeitspraktiken“: 

Fazit

Den vorgestellten Ansatz können Sie als Rahmen verwenden, um die Qualität Ihrer Wesentlichkeitsanalyse sicherzustellen. Es ist jedoch wichtig, dass Sie Ihre Nachhaltigkeitsaspekte regelmäßig bewerten und die Wesentlichkeitsanalyse entsprechend oft aktualisieren.

Helena Ranängen ist beigeordnete Professorin für Industrielles Umweltmanagement an der Technischen Universität Luleå. Sie unterrichtet Umweltmanagement und konzentriert ihre Forschungsarbeit auf die Nachhaltigkeitspraktiken der Bergbauindustrie, insbesondere auf Stakeholder-Management und Nachhaltigkeitsmanagementsysteme. In diesem Kontext hat sie unter anderem Leitlinien für die Nachhaltigkeitspraxis der nordischen Bergbauindustrie entwickelt und Organisationen dabei unterstützt, auf der Grundlage von Stakeholder-Dialogen nachhaltige Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu entwickeln, zu implementieren, zu evaluieren und weiterzuentwickeln.

Über die Autorin

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